Ständerwerk ≠ Ständerwerk
Wir haben eine lange Reise der Tragwerksmodellierung von Ständerwerken hinter uns und möchten Dir einen kleinen Einblick in die Thematik geben.
Hybrid-Ständerwerk
Im Hybrid-Ständerwerk haben wir die charakteristischen Vorteile des traditionellen und des Rautenständerwerks kombiniert.
Das traditionelle Ständerwerk hat zwar keine tragwerkstechnischen Vorteile, bietet aber ein reguläres senkrechtes Raster zur waagerechten und senkrechten Verschraubung von Innen- und Außenverkleidung. Der Wert steckt in seiner Praktikabilität.
Das Rautenständerwerk genießt ganz klar Alleinstellungsmerkmal in der Effizienz als Tragwerk, der primären Aufgabe eines Ständerwerks.
Durch die Kombination der beiden Systeme konnten wir die Praktikabilität des traditionellen Ständerwerk komplett erhalten und die Effizienz des Rautenständerwerks etwas weniger pointiert, aber doch in erstaunlich hohem Maße beibehalten.
Die Ingeneiursarbeit an >1000 Modellen hat uns vom traditionellen zum Rautenständerwerk und schließlich zu einem Allrounder mit Spitzenwerten geführt, unserem Hybridständerwerk.
Rautenständerwerk
Unser Rautenständerwerk ist aus der statischen Analyse heraus entstanden, dass Tiny Houses gegenüber großen Gebäuden weniger von vertikalen und mehr von lateralen und horizontalen Kräften beansprucht werden. Ein traditionelles Tragwerk kann aus diesem Grunde tragwerkstechnisch prinizipiell nicht die 1. Wahl sein.
Wir haben uns in aufwendiger Entwicklungsarbeit daran gemacht, ein Ständerwerk zu entwickeln, welches eben diese lateralen und horizontalen Kräfte ideal abträgt und sind nach über 700 Iterationen zu dem Rautenständerwerk gelangt, wie es in unserem Musterhaus zu sehen und spüren ist.
Traditionelles Ständerwerk
Ein traditionelles Ständerwerk ist dominiert von Pfosten (senkrechten Stäben). Für Durchbrüche, wie etwa Fenster und Türen, werden Riegel (waagerechte Stäbe) nach Bedarf eingebaut. Zur Aussteifung gegen eine Parallelogrammverschiebung werden dann Windrispen (Stahlbänder), im Idealfall kreuzweise, auf das Ständerwerk aufgebracht. Alternativ kann diese Aussteifung über Kopfbänder oder vergleichbare diagonale Stäbe erfolgen.
Lust auf etwas Tragwerkstechnik?
Du findest im folgenden softe Theorie zum Eintauchen.
Faserrichtung trumpft
In der Konzeptphase eines Ständerwerks ist es sinnvoll festzustellen, in welcher Reihenfolge die vertikalen, horizontalen und lateralen Lasten auf das Gebäude dominieren.
Die meisten Fasern des Ständerwerks sollten nämlich in eben diese dominierende Lastrichtung verlaufen. Denn Faserwerkstoffe, wie Holz, sind meist um einen Faktor von bis zu 8 leistungsfähiger darin, Lasten in Richtung ihres Faserverlaufs aufzunehmen, als sie es rechtwinklig zu ihrem Faserverlauf sind.
Nun verhält es sich natürlich nicht ganz so einfach. Denn Lasten treffen nicht ausschließlich vertikal, horizontal und lateral auf das Gebäude. Kräfte wirken aus allen Richtungen, sogar solche, die das TIny House geradewegs in den Himmel heben möchten.
Eine nahezu ideales Ständerwerkkonzept ist unter anderem deswegen ohne statische Computersimulationen praktisch nicht möglich. Es bleibt jedoch der Grundgedanke, dass Ständerwerke grundsätzlich nach ihren dominanten Faserrichtungen beurteilt werden können, weil Faserrichtung trumpft.
Oberflächen-Volumen-Verhältnis indiziert Parallelogrammverschiebung
Tiny Houses haben grundsätzlich ein besonders hohes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Nehmen wir exemplarisch ein Tiny House in Würfelform mit 10m Länge, 2,5m Breite und 4m Höhe. Dem gegenüber stellen wir ein Haus in Würfelform mit 12m Länge, 10m Breite und 9m Höhe.
Tiny House
Oberfläche: 150m² ((10m*2,5m+10m*4m+2,5m*4m)*2)
Volumen: 100m³ (10m*2,5m*4m)
Verhältnis: 1,5 (150/100)
Haus
Oberfläche: 636m² ((12m*10m+12m*9m+10m*9m)*2)
Volumen: 1.080m³ (12m*10m*9m)
Verhältnis: 0,59 (636/1.080)
Das Oberflächen-Volumen-Verhältnis des Tiny Houses ist etwa 2,5 (1,5/0,59) mal so groß wie das des Hauses. Das ist ein sehr großer Sprung. Erhöhen wir zur Verdeutlichung das besagte Verhältnis noch einmal um 2,5 vom Haus aus, landen wir etwa bei dieser beinahe palastartigen Größe mit 35m Länge, 25m Breite und 20m Höhe.
Palast
Oberfläche: 4.150m² ((35m*25m+35m*20m+25m*20m)*2)
Volumen: 17.500m³ (35m*25m*20m)
Verhältnis: 0,23 (4.150/17.500)
Die Veränderung des Oberflächen-Volumen-Verhältnis zum Tiny House hin, sollte Beachtung finden. Denn je höher das Oberflächen-Volumen-Verhältnis, desto mehr muss das Ständerwerk Parallelogrammverschiebungen widerstehen.
Zur Veranschaulichung der Thematik eine Analogie: Stell Dir ein Tauziehen vor, bei der jeder Mensch nur mit dem linken Arm ziehen darf und mit der rechten ein 10kg-Gewicht in den Himmel strecken muss. Nun steht auf einen Seite ein Elefant und auf der anderen 10 Männer und Frauen. Im nächsten Schritt ersetzen wir diese 10 Menschen durch 1 Person, die ebenso stark ist wie die vorigen 10 gemeinsam. Nun muss die eine Person mit dem linken Arm wie die 10 Menschen zuvor einen Elefanten bezwingen, mit dem rechten Arm, muss er aber nur 10kg hochheben weil er 1 Mensch ist, wohingegen zuvor 100kg in den Himmel gestreckt werden mussten.
Übertragen gesprochen kürzen wir ein Gebäude von 10m Breite auf 1m Breite. Das Gebäude muss nun natürlich nur 10% der Schneelast aufnehmen weil das Dach um 90% verkleinert wurde (Dies sind die 100kg auf 10kg). Die Länge des Hauses hat sich jedoch nicht geändert und dort trifft die Windlast mit derselben Kraft auf (Dies ist der Elefant, dessen Kraft unverändert bleibt).
Betrachten wir also nur die Schneelast erscheint es, dass wir unser Ständerwerk in derselben Art beibehalten und nur im selbem Maße mit der Breite des Gebäudes kürzen. Betrachten wir jedoch die Windlast, darf das Ständerwerk gar nicht gekürzt werden.
Das zur Verfügung stehende Holz in der 1m breiten Wand muss nun viel mehr waagerechte Last als senkrechte Last abtragen. Ist der Stiel zu senkrecht ausgerichtet, kommt es also zunehmend zu Parallelogrammverschiebungen. In anderen Worten: Die Raumtiefe, und damit das Potential der Wand, dem Wind zu widerstehen, nimmt ab. Im Gegenzug müssen die Stäbe waagerechter ausgelegt werden also zuvor, um zum kompensieren, dass nun weit mehr waagerechte als senkrechte Lasten vorhanden sind.
Auf diese Weise induziert ein zunehmendes Oberflächen-Volumen-Verhältnis die Gefahr einer Parallogramverschiebung. Noch einmal in anderen Worten: Mit zunehmendem Oberflächen-Volumen-Verhältnis werden waagerechte Fasern im Ständerwerk immer wichtiger und senkrechte unwichtiger.