Kommentar zum Vice-Artikel über Tiny Houses

Manche Blogs stellen sich als das Trash-TV des Internet-Zeitalters dar. So auch eine kürzlich auf Vice erschienene Meinung zu Tiny Houses.

Mit blumigen Worten und wiederholten Zitaten eines ausgewiesenen Experten – nun ja, wenn das Ziel ist, Eindruck zu schinden, dann ist ein Satiriker genau der richtige Ersatz für jemanden, der weiß, wovon sie oder er redet – versucht er, Tiny Houses als lächerlich und für die gesellschaftliche Entwicklung höchst gefährlich darzustellen. Schauen wir uns dieses Machwerk einfach mal an.

Eröffnung mit Polemik: Angeblich wird Rückschritt als Fortschritt verkauft. Worin soll der angebliche Rückschritt bestehen? Darin, dass Menschen auf kleinerem, mobilen Raum wohnen können. Fortschritt soll also offensichtlich darin bestehen, dass Menschen über immer mehr Wohnraum verfügen. Das wird die schwarzen Schafe der Immobilienbranche freuen, so lassen sich die Wohnungspreise weiter in noch schwindelndere Höhen treiben.

Ein Ausweg aus der Wohnungskrise für Einzelne können Tiny Houses durchaus bieten: Wer sich für ein Leben in einem Tiny House entscheidet, der kann dem Wohnungsmarkt Ade sagen. Als Allheilmittel gegen die Wohnungskrise taugen Tiny Houses sicherlich nicht. Tiny House Siedlungen können nicht die Alternative zu dichtbebauten Städten sein, das würde viel zu viel Fläche belegen, schließlich sind Tiny Houses nur ein- bzw. anderthalbstöckig.

Andererseits können Tiny Houses in der Bebauungsdichte durchaus mit Reihenhäusern mithalten: Je nach Größe der Tiny Houses können z.B. zwei Haushalte auf einem 120m2 großen Grundstück Platz finden. Vergleicht man dies mit Reihenhäusern am Beispiel der Stadt Karlsruhe, so ergibt sich folgendes Bild: Nach dem Immobilienmarktbericht 2016 der Stadt Karlsruhe hat ein typisches Reihenhaus eine Grundstücksfläche von 229m2, wobei sich die Werte für die dort untersuchte Stichprobe zwischen 130m2 bis 450m2 bewegten. Berücksichtigt man jetzt noch, dass ein Reihenhaus mit durchschnittlich vielleicht 3 Personen bewohnt wird – wahrscheinlich eher weniger – so sieht man, dass eine Bebauung durch Tiny Houses wesentlich dichter ist.

Tiny Houses können also auch in Städten eine Bereicherung der Stadtlandschaft sein, ein Angebot einer zusätzlichen Wohnform, neben etwa freistehenden Einfamilienhäusern, Doppelhäusern, Reihenhäusern, Mehrfamilienhäusern, Mietskasernen und Hochhäusern.

Wo sie aber ihren eigentlichen Vorteil ausspielen können (genauer gesagt, könnten) ist dort, wo Mobilität ein Trumpf ist. Das ist z.B. bei städtischen Brachflächen oder Baulücken der Fall, die so vorübergehend für Wohnnutzung verfügbar gemacht werden können.

Denn nicht jedes Tiny House ist „eine lächerlich kleine Hütte“ oder sieht aus wie „eine aufgearbeitete Baumarkt-Hütte auf Rädern“. Heute kann man sich Tiny Houses erstellen lassen, die eine berechnete Statik für Fundament (also Chassis) und für das eigentliche Haus besitzen, und die aus hochwertigen Materialien fachgerecht als langlebiges Wohnhaus gebaut sind. Ebenso ist eine gute Wärmedämmung machbar und z.B. kann auch die EnEV eingehalten werden, auch wenn die Standards von Passivhäusern in Tiny Houses mit 3,5 Tonnen (die also mit entsprechenden Geländewagen oder Sprinter im Straßenverkehr und auf Autobahnen bewegt werden dürfen) nicht eingehalten werden können (jedenfalls nicht ohne exorbitante Kosten).

Besonders Tiny Houses in Leichtbauweise sind geeignet, um Flachdächer für eine Wohnnutzung zu erschließen – dann natürlich ohne Räder. Eine ähnliche Idee wurde schon in Berlin konzipiert, allerdings scheint es seit zwei Jahren kaum Fortschritte in der Realisierung zu geben.

Hält man sich diese Konzepte vor Augen, dann können Tiny Houses durchaus ein wichtiger Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot sein, natürlich nicht die alleinige Lösung.

Und was das Preis-/Leistungsverhältnis anbelangt, so sind die Kosten pro Quadratmeter Wohnfläche natürlich höher als in vielen Wohnungen. Dies ist ein zwar objektiver, aber zu simpler Maßstab. Was wirklich zählt ist nicht Leistung in Wohnfläche nach DIN, sondern Leistung in Wohnqualität. Und die ist sehr subjektiv. Nicht jeder wird sich z.B. auf 20 qm Grundfläche wohlfühlen, oder gar in extremen Wohnkonzepten wie dem zitierten 6,4 qm Tiny House, und das ist in Ordnung. Vielen jungen Menschen jedoch bedeutet es wenig, inmitten von viel Platz zu residieren; oft sind sie es gewohnt, auf weniger als 20 qm zu wohnen und sind sowieso mehr auf den öffentlichen Raum orientiert als auf eine geräumige Fernsehcouch. Und dann können, bei intelligent eingerichtetem Wohnraum, 15qm oder 20 qm Wohnfläche plus Schlafloft(s) durchaus sehr komfortabel und angenehm sein, in die man sich nicht „reinzuneurotisieren“ braucht – im Gegenteil.

Jetzt ist dieser Blog doch etwas lang geworden, und es gäbe noch eine Menge zu sagen – etwa zur einfach nur bizarr-polemischen Aussage des Artikels, dass man nur einer der „Tiny House Begeisterten“ sein kann, „wenn einem der Wohlstand den Verstand weggeblasen hat“. Nun ja, so kann man auch die Welt um sich herum zu seiner eigenen Bequemlichkeit zurechtinterpretieren.

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